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Buch-Klub – Genjõ kõan
17. Februar 2022, 20:30 - 21:30
Nach der Zen-Praxiswoche im Dezember vergangenen Jahres, während der das Genjõ kõan bereits unser Thema war, wollen wir uns im Buch-Klub im Februar erneut diesem wunderbaren Text von Meister Dogen beschäftigen. Es ist einer der bekanntesten Texte aus Dogens Shobogenzo (Kapitel 3) und von herausragender Schönheit.
Genjõ bedeutet “die in diesem Augenblick vorhandene Wirklichkeit”, und kõan bedeutet “die absolute Wahrheit, die die relative Wahrheit umfasst” oder auch “eine Frage, die uns die wahre Wirklichkeit stellt”. Genjõkõan bedeutet also, “durch die Praxis unserer alltäglichen Handlungen eine Antwort geben auf die Frage, die die wahre Wirklichkeit uns stellt”.
Wir “arbeiten” mit der Übersetzung von Muho, aus dem Buch “Futter für Pferd und Esel – Ein Dogen Handbuch”
GENJÔKÔAN 現 成 公 案 – Hier offenbart sich das Geheimnis
Wenn du zur Wirklichkeit aller Dinge erwachst, erkennst du Verirren und Erwachen, Übung, Leben und Tod, alle Buddhas und leidende Wesen.
Wenn die zehntausend Dinge ohne Ich sind, dann gibt es weder Verirren noch Erwachen, weder Buddhas noch leidende Wesen, weder Entstehen noch Vergehen.
Der Buddhaweg entspringt Überfluss und Mangel, deshalb gibt es Entstehen-Vergehen, Verirren-Erwachen und leidende Buddhas. Und dennoch: Blüten fallen in sehnsüchtiger Liebe, und das Unkraut sprießt zu deinem Ärger, und das ist alles.
Dich selbst vorantragen, um die zehntausend Dinge zu bezeugen, ist Verirren. Dass die zehntausend Dinge fortschreiten und dich selbst übend bezeugen, ist Erwachen.
Die zum Verirren vollkommen erwachen, sind die Buddhas. Die sich im Erwachen heillos verirren, sind die leidenden Wesen. Es gibt Kerle, die noch aus dem Erwachen heraus erwachen, und es gibt Kerle, die sich inmitten des Verirrens noch weiter verirren.
Wenn die Buddhas allesamt wahrhaft Buddhas sind, haben sie nicht das Bewusstsein, Buddhas zu sein. Dennoch sind sie bezeugte Buddhas, die fortfahren, Buddha zu bezeugen.
Wenn du mit Körper und Geist vereint eine Farbe siehst oder mit gesammeltem Körper und Geist eine Stimme vernimmst, so ist dies, auch wenn du innig verstehst und erkennst, nicht wie mit einem Spiegel, in dem ein Spiegelbild erscheint, noch wie mit Mond und Wasser. Wird eine Seite bezeugt, bleibt die andere dunkel.
Den Buddhaweg ergründen heißt, dich selbst ergründen.
Dich selbst ergründen heißt, dich selbst vergessen.
Dich selbst vergessen heißt, von den zehntausend Dingen bezeugt werden.
Von den zehntausend Dingen bezeugt werden heißt, Körper und Geist von dir selbst und allen anderen fallen lassen.
Die Spuren des Erwachens verlöschen und die verloschenen Spuren des Erwachens führen endlos fort.
Wenn du zuerst nach der Lehre verlangst, entfernst du dich weit von ihr. Sobald dir die Lehre richtig übertragen ist, bist du unverwandt ein ursprünglicher, ganzer Mensch.
Wenn du in einem Boot fährst und dabei deine Augen an das Ufer heftest, dann täuschst du dich darin, dass es das Ufer sei, das sich bewegt. Nur wenn du deinen Blick genau auf das Boot richtest, erkennst du deine eigene Bewegung. Und genauso täuschst du dich auch, wenn du Körper und Geist durcheinander bringst und dir Urteile über die zehntausend Dinge zurechtlegst: du glaubst, dass dein Geist von beständiger Natur sei. Wenn du ganz bei deinem Geschäft bist und in den gegenwärtigen Ort heimkehrst, dann wird die Wahrheit offenbar, dass die zehntausend Dinge ohne Ich sind.
Brennholz wird zu Asche und kehrt nicht als Brennholz zurück. Du solltest dies nicht so betrachten, als ob die Asche nachher, das Brennholz vorher wäre. Verstehe, dass Brennholz die Stelle von Brennholz einnimmt und ein Vorher und Nachher hat. Es gibt dieses Vorher und Nachher, doch der Bereich von Vorher und Nachher ist abgetrennt. Ebenso ist Asche in der Weise von Asche, vorher wie nachher.
So wie Brennholz nicht mehr zu Brennholz wird, nachdem es zu Asche verbrannt ist, so wirst auch du nach dem Tod nicht mehr lebendig. In der Buddhalehre spricht man nicht davon, dass Leben zu Tod wird. Deshalb sagt man: „Ungeboren“. Dass Tod nicht zu Leben wird, entspricht der Art Buddhas, das Rad der Lehre zu drehen. Deshalb heißt es: „Ungestorben“. Leben ist die Weise einer Zeit, so wie Tod die Weise einer Zeit ist. Es ist wie mit Winter und Frühling: Niemand stellt sich vor, dass der Winter zum Frühling wird, und du sagst auch nicht, dass der Frühling zum Sommer werde.
Erwachen ist wie die Spiegelung des Mondes im Wasser. Der Mond wird nicht nass, das Wasser bleibt unberührt. Das Licht ist weit und groß, trotzdem spiegelt es sich in einer kleinen Pfütze. Der ganze Mond, ja der ganze Himmel findet im Tau auf dem Gras oder in einem Tropfen Wasser Platz. Das Erwachen verbiegt dich als Menschen nicht, so wie ein Tautropfen Mond und Himmel kein Hindernis bereitet.
Die Tiefe ist das Maß der Höhe. Wie lang oder kurz ist die Zeit? Was dies anbelangt, untersuche die Größe des Wassers, beurteile die Weite von Himmel und Mond.
Wenn du die Lehre noch nicht vollkommen in Körper und Geist aufgenommen hast, meinst du, dass du ihr bereits genügst. Wenn die Lehre Körper und Geist ganz ausfüllt, dann merkst du, dass noch etwas fehlt.
Stell dir vor, du fährst mit einem Boot inmitten des Meeres, fern der Berge, und blickst in alle Himmelsrichtungen: Du siehst nur ein einziges Rund und keine weitere Gestalt. Doch der Ozean ist weder eckig noch rund, seine Erscheinungsmöglichkeiten sind unbegrenzt: wie ein Palast, wie ein Edelstein. Nur in deinem Gesichtskreis erscheint er jetzt als rund.
So steht es auch bei den zehntausend Dingen: Die Welt des Staubs und die Welt jenseits der Ordnungen erscheinen auf mancherlei Weisen, und deine Augen sehen und verstehen nur, was im Horizont deines Lernens liegt. Wenn du nach dem Stand der zehntausend Dinge fragst, darfst du nicht nur Eckiges und Rundes sehen, sondern musst die darüber hinausgehenden Erscheinungsmöglichkeiten der Meere und Berge und aller Himmelsrichtungen erkennen. Wisse, dass dies nicht nur fern um dich herum, sondern auch direkt vor deinen Füßen und für jeden einzelnen Tropfen gilt.
Ein Fisch, der im Wasser schwimmt, stößt an kein Ende des Wassers, so weit er auch schwimmt. Ein Vogel, der am Himmel fliegt, stößt an keine Grenze des Himmels, so weit er auch fliegt. Fisch und Vogel waren von Beginn an nie vom Wasser und Himmel getrennt. Brauchen sie viel, benützen sie viel. Benötigen sie wenig, verwenden sie wenig. Es kommt niemals vor, dass sie ihren Bereich nicht ganz ausfüllen, und es gibt keinen Ort, an dem sie nicht ihre volle Aktivität entfalten. Wenn ein Vogel den Himmel verließe, dann stürbe er auf der Stelle. Verließe ein Fisch das Wasser, so stürbe er auf der Stelle. Wisse, dass Leben durch das Wasser gelebt wird. Wisse, dass der Himmel Leben vollbringt. Der Vogel verkörpert Leben, der Fisch verkörpert Leben. Und durch das Leben soll der Vogel verkörpert sein, durch das Leben soll der Fisch verkörpert sein. Und darüber hinaus soll es weitergehen: Mit deinem übenden Bezeugen und allem Lebenden verhält es sich ebenso.
Gäbe es einen Vogel oder Fisch, der zuerst versuchte, das Wasser oder den Himmel gründlich zu vermessen, bevor er darin schwimmt oder fliegt, dann fände er weder Weg noch Ort im Wasser und am Himmel.
An diesen Ort gelangt, diesem Geschäft nachgehen, hier verwirklicht sich das offenbare Geheimnis. An jenen Weg gelangt, jenem Geschäft nachgehend, verwirklichst du das offenbare Geheimnis. Das ist so wie es ist, denn jener Weg und dieser Ort sind weder groß noch klein, weder du selbst noch etwas außerhalb, es gab sie nicht schon früher und sie entstehen auch nicht in diesem Augenblick.
Ebenso ist es, wenn du den Buddhaweg übend bezeugst. Stößt du auf die Lehre, so durchdringst du die Lehre. Findest du eine Tätigkeit, so übst du sie ganz aus. Hier liegt dein Ort, dein Weg führt hindurch.
Und deshalb sind die Grenzen deines Verstehens nicht klar umrissen, weil dieses Verstehen denselben Ursprung hat, auf derselben Übung beruht, wie die abgründige Vertiefung der Buddhalehre. Bilde dir nicht ein, dass du, wenn du an diesen Ort gelangst, ihn klar und deutlich in dir selbst erkennst und verstehst. Zwar wird der tiefste Erweis unmittelbar vergegenwärtigt, doch dadurch vergegenwärtigt sich nicht unbedingt ein verborgenes Sein. Vergegenwärtigung lässt sich nicht fassen.
Als Zenmeister Hôtetsu vom Berg Mayoku einen Fächer benutzte, trat ein Mönch vor und fragte: „Wind ist seinem Wesen nach beständig, und es gibt keinen Ort, den er nicht erreicht. Aus welchem Grund benutzt ihr also einen Fächer, Abt?“
Der Meister erwiderte: „Du weißt nur, dass das Wesen des Windes beständig ist, aber das Prinzip, dass er keinen Ort verfehlt, hast du noch nicht verstanden.“
Der Mönch fragte: „Was ist das Grundprinzip, nach dem es keinen Ort gibt, den er nicht erreicht?“
Da fächelte der Meister nur mit dem Fächer. Der Mönch verbeugte sich.
Das Siegel der Buddhalehre und der lebendige Weg seiner Übertragung liegen hier. Wenn du glaubst „Beständigkeit“ bedeute, dass du keinen Fächer zu benutzen brauchst, da du auch so dem Wind ausgesetzt bist, dann kennst du weder die Beständigkeit noch das Wesen des Windes. Weil der Wind seinem Wesen nach beständig ist, vergegenwärtigt der Wind des Buddha-Hauses die Erde als Gold und lässt die Milchstraße zu Quark werden.
Genjôkôan, das erste Kapitel des Shôbôgenzô.
Dies wurde im Mittherbst des Jahres 1233 geschrieben und dem Laienschüler Yô Kôshû aus Chinzei geschickt. Im Jahr 1253 eingefügt.
Wer sich eingehend in das Genjõ kõan einlesen möchte, dem empfehle ich darüber hinaus Shohaku Okumura´s “Die Verwirklichung der Wirklichkeit”.
Aktuell findet der Buch-Klub via Zoom statt.